Pflanzenbasierte Textilien der Zukunft:
Interview mit Biodesignerin Carole Collet

Carole Collet ist Professorin für nachhaltiges Design am Central Saint Martins College der Universität der Künste in London, wo sie das Design & Living Systems Lab gründete. Ein wegweisendes Forschungslabor, das die Schnittstelle zwischen Biowissenschaften und Design erforscht, um neue nachhaltige Materialien und Produktionsformen für die Zukunft zu entwickeln. In unserer Pop-Up-Ausstellung „Fungi for Future - Die (un)sichtbare Kraft der Pilze“ im BIOTOPIA Lab zeigen wir zwei ihrer Textilkollektionen aus Myzelium - dem vegetativen Teil eines Pilzes oder einer pilzartigen Bakterienkolonie. Im Interview erklärt sie uns, weshalb dieses Material in Zukunft sehr bedeutsam sein könnte.


Frau Professor Collet, wie sind Sie auf die Idee gekommen, aus Myzelium – also Pilzen - Textilien herzustellen?

Ich habe während meiner gesamten Karriere immer nach neuen Wegen gesucht, nachhaltige Textilien herzustellen. Während meines Masterstudiums in Textildesign am Central Saint Martins UAL im Jahr 1991 erforschte ich, wie ökologische Prinzipien mit dem Prozess des Entwerfens und Herstellens von Textilien in Einklang gebracht werden können. Dies ist bis heute das Hauptinteresse meiner Arbeit. In den frühen 2000er Jahren begann ich mit Hilfe von Biomimikry- und Biologieprinzipien nachhaltigere Herstellungsprozesse zu entwickeln. 2013 kuratierte ich dann die Ausstellung "ALIVE: New Design Frontiers" in Paris. Während dieser Zeit wurde ich auf die Arbeit von Philipp Ross aufmerksam, ein Künstler, der Installationen, Möbel und Ziegel aus Myzel herstellte. Ich wurde sehr neugierig und beschloss, das Potenzial von Myzel für nachhaltige Textilverzierungen genauer zu untersuchen.

 


Auf welche Aspekte fokussieren sich Ihre Forschungen genau?

Die beiden grundlegenden Fragen für mich lauten: Wie können wir Textilien ohne die Verwendung von Erdöl produzieren? Und wie schafft es die Natur, ein stoffähnliches Material herzustellen? Mit anderen Worten: Wie können wir bioinspirierte Textilherstellungsprozesse entwickeln? In den letzten 100 Jahren hat sich die Textilindustrie von einem natürlichen Agrarsystem zu einem hauptsächlich Erdöl basiertem System gewandelt. Polyester wird zum Beispiel aus Rohöl hergestellt, ebenso wie synthetische Farbstoffe und viele Veredelungs- und Beschichtungsverfahren. Die Textilindustrie zählt heute zu einem der größten Umweltverschmutzer. Wir müssen daher dringend ein neues Modell für eine nachhaltige Textilproduktion entwickeln, insbesondere im Kontext einer wachsenden Weltbevölkerung.


Beispiele Ihrer Arbeit können die Besucher*innen auch in der neuen Ausstellung „Fungi for Future“ im BIOTOPIA Lab bewundern. Welche Werke stellen Sie dort aus?

Im BIOTOPIA Lab zeige ich zwei meiner Kollektionen. Die Spitzen-Kollektion macht anschaulich, wie wir mit Myzelium Fasern zusammenbinden können. Während die Schwarz-Weiß-Kollektion die Ästhetik traditioneller Techniken wie Batik, Stickerei und Falten unter Verwendung von Myzel neu interpretiert.

Beispiele

Die Herstellung von Textilien aus pflanzenbasiertem Material ist komplex. Wie lange dauert es, bis ein Textilstück mit der Hilfe von Myzelium hergestellt wird?

Für die Kollektionen, die Sie im BIOTOPIA Lab sehen können, habe ich etwa zwei Monate gebraucht, aber die dort angewandten Prozesse basieren auf fünf Jahren Forschung. Die Arbeit mit Myzelium ist immer noch eine Pionierarbeit. Für die meisten meiner Arbeitsproben sind bis zu 30 Experimente erforderlich, um das gewünschte Endergebnis zu erhalten. Man darf nicht vergessen, dass das Wachsen der Pilzfasern und damit das Erstellen eines Stoffes ca. 5-10 Tage dauert.


Und warum gerade dieses Material: Was ist für Sie das Faszinierendste an der Arbeit mit Myzelium?

Myzelium ist ein unglaublicher Alchemist, der seine eigene Nahrungsquelle in ein neues Material verwandelt. Bei Myzelium handelt es sich um einen lebenden Organismus. Es ist also fast wie bei einem Haustier: Man muss sich darum kümmern, man muss es füttern und seinen Lebensraum kontrollieren. Da es sich um ein lebendes System handelt, kann die Arbeit mit Myzelium daher aufregend und gleichzeitig frustrierend sein, da man es nicht vollständig kontrollieren kann. Ich habe zum Beispiel ein Muster produziert, bei dem eine Art Fellmuster auf der Oberfläche wuchs. Ich habe dies überhaupt nicht geplant, also wurde das Myzelium zum eigentlichen Designer. Ich versuche bis heute vergeblich, dieses Experiment zu wiederholen. Das Unvorhergesehene macht einen Teil des Reizes aus.


Wo sehen Sie generell die Zukunft für alternative Materialien und Verfahren in der Textilindustrie? Können wir die Natur nutzen, ohne sie auszunutzen?

Die Zukunft von Design und Fertigung von Textilien liegt in der Biologie. Wir müssen die Produktionssysteme von Textilien radikal überdenken, um ökologischer zu werden und chemische Prozesse drastisch zu reduzieren. Natürlich müssen wir auch unsere Konsumverhalten ändern. Aber ich glaube auch, dass wir über die reine Frage der Nachhaltigkeit hinausgehen müssen.

Wir produzieren heutzutage immer mehr, so dass die Idee in Zukunft „Schlechtes zu reduzieren“ das Problem nicht wirklich lösen wird! Wir alle sehen, dass der Klimawandel schneller eintritt als wir noch vor wenigen Jahren geglaubt haben. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir mit unserer Produktion nicht nur weitere Umweltschäden reduzieren, sondern wie wir Ökosysteme wiederherstellen können. Und das kann durch biobasierte Forschung ermöglicht werden.

Mehr Infos zur Ausstellung


Interview mit Carole Collet, alle Rechte vorbehalten.

 

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